Rennbericht GCC ProAM Hannover
Von Jonas Arlt
Fahrtwind, surrende Freiläufe und Rennradfahrer in der Rückansicht soweit das Auge reicht. Nur schweift dieses eher selten vom Hinterrad des direkten Vordermanns ab, der in diesem Moment „Oh“, schreit – Hakenschlag nach rechts.
„Oh“, schießt es auch mir in den Adrenalin überfluteten Kopf. Denn da wo eben noch der Vordermann war, steht nun eine Warnbake und diese macht auch keine Anstalten sich zu bewegen. Ich ebenso nicht, nur geradewegs drauf zu, keine Chance auch nur an ein Ausweichmanöver zu denken.
Im nächsten Moment wieder Rennradfahrer soweit das Auge reicht, nun in der Frontansicht aber irgendwie auf dem Kopf. Nein, ich bin es der verkehrt herum liegt und den nicht abreißenden Strom an Radfahrern aus bislang ungewohnter Perspektive beobachtet.
Wütend springe ich wieder auf und zerre mein Rad in die vermeintliche Sicherheit hinter ‚meiner‘ Warnbake. Aber wo sind wir überhaupt? Ok, zurück zum Anfang
…
Hannover, den 08.09.2019, German Cycling Cup #9: ProAm ‚Dein Tag‘. Das Rennen in der Landeshauptstadt Niedersachsens ist zum ersten mal Teil des GCCs und trumpft mit 1.882 Teilnehmer bei seiner erst dritten Auflage groß auf. Mit am Start auch das radroo TEAM mit 11 Fahrern.
Es ist noch frisch an diesem Septembermorgen. Doch als die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke brechen und den geduldig in den Startblöcken wartenden Fahrer etwas Wärme spenden, können auch die Armlinge kurz vor dem Start abgestreift werden.
Pünktlich um 9.00 Uhr fällt der Startschuss. Allerdings ist damit das Rennen noch nicht freigegeben. Das Feld wird angeleitet vom Führungsfahrzeug zunächst neutralisiert durch die ersten Streckenabschnitte innerhalb Hannovers geleitet. Eine sichere Angelegenheit möchte man meinen.
Leider weit gefehlt, erste Positionskämpfe, plötzliche Bremsmanöver, die sich wellenartig durchs Feld verstärken und ausbleibende Handzeichen generieren eine Szenerie, die Stürze geradezu herausfordern.
Genau, da wären wir wieder – die Warnbake. Keine 6 km gefahren und krawumm, Endstation Arbeitsstellensicherungsobjekt. Wer hat die da eigentlich stehen gelassen und was wird hier bitte abgesichert? Für den Moment unerheblich, aber Endstation? Ne, nicht mit mir. Der Kurzcheck ergibt: Keine offenen Wunden, Rahmen und Laufräder soweit intakt, Kette runter.
Ok, also Kette rauf und auf zur Jagd. Mit ordentlich Frust im Bauch sind selbst 400W über nen längeren Zeitraum kein Problem.
Doch die Lücken sind groß und die Spitze ist weit außer Sicht. Und so beginnt ein einsamer Kampf von Splittergruppe zu Splittergruppe. Naja, einsam in dem Sinne das vor mir keiner fahren will. Ein rascher Blick nach hinten aber zeigt: Hinter mir ist eine sehr viel beliebtere Position. Bereits nach kurzer Zeit ziehe ich einen ganzen Tross an Fahrer*innen hinter mir her. „Immerhin kann ich hier mal meine Zeitfahrqualitäten ausspielen“, schießt es mir in den Kopf, um der ärgerlichen Situation etwas Positives abzugewinnen. Gerade als die Beine beginnen müde zu werden und der Wille weiter zu arbeiten schwindet, ein erstes Hoffnungszeichen: Ein Teamkollege in ähnlicher Misere. Ermutigend klopfe ich Stefan im Vorbeifahren auf den Rücken und rufe ihm zu: „Häng dich rein, auf geht’s!“
Nur wenige Kilometer weiter, das nächste radroo Trikot; Pierre! Ein weiterer Leidensgenosse, der gleich mir unsanft mit dem Asphalt der heutigen Strecke Bekanntschaft gemacht hatte.
‚Unsere‘ Gruppe ist inzwischen auf beachtliche Größe angewachsen und es zeigt sich schnell, dass der Zusammenschluss mit Pierre ein Glück im Unglück war. Wir harmonieren an der Spitze perfekt, halten gemeinsam mit einer Hand voll weiterer, motivierter Fahrer das Tempo hoch und jagen jeder am Horizont erscheinenden Gruppe nach, um sie noch vor dem Zielstrich zu stellen.
Und dieser naht, wie der sich nun links abzeichnende Maschsee verrät. In meinem Kopf die Gedanken vom Vorabend: „Lange Gerade entlang des Maschsees, Position im Feld halten, nicht zurückfallen – dann 90° links, direkt im Anschluss 90° scharf rechts – wieder geradeaus, breite Straße, genug Platz um nochmal nach vorne zu stoßen – wieder 90° rechts, Zielgerade, im Windschatten bleiben, abwarten, abwarten, dann schließlich all out!“
Gedacht, getan! Planmäßig steuere ich durch die letzten Kurven im Finale dieses Rennens. An etwa 10ter Position geht es auf die Zielgerade auf die gerade ein Polizeiwagen einbiegt – sicher um dafür zu sorgen, dass alles frei für den anstehenden Massensprint ist. Doch weit gefehlt! Er reduziert seine Geschwindigkeit und kommt fast zum Stehen. Und da ist wieder dieses ‚Oh‘, denn bestimmt 60 Fahrer schießen gerade in voller Fahrt, bereit zum Sprint auf dieses unerwartete Hindernis zu.
Die nächsten Sekunden laufen instinktiv ab. Das Feld teilt sich in zwei Züge links und rechts am Polizeiwagen vorbei auf. Innerlich erwarte ich ängstlich kreischende Bremsen und krachendes Carbon. Doch bis auf die Flüche mancher Fahrer bleibt es wie durch ein Wunder ruhig. Niemand kommt zu Fall.
Es bleibt auch keine Zeit weiter in der Situation zu verweilen, liegt die Ziellinie nun doch greifbar nahe, nur wenige 100m entfernt. Der eigentliche Schlusssprint erfolgt dann kurz und schmerzlos, ist das Feld doch schon durch das unerwartete Hindernis zersprengt. Mir selbst fehlen die Körner nach dieser langen Aufholjagd, um nicht doch noch von dem ein oder anderem Fahrer übersprintet zu werden.
Sei es drum, das Rennen wurde ohnehin schon zuvor von anderen in der Spitzengruppe entschieden. Wie eigentlich konnten sich dort meine Teamkollegen behaupten?
Matthias Keilhold fuhr mit Platz 12 das beste Tagesergebnis für das radroo TEAM heraus und dominierte damit zugleich seine Altersklasse (Platz 1, Masters 3). Es folgten Alexander Ubland (Platz 30), Dominik Hofeditz (Platz 38) und Mario Knierim (Platz 47). Dies ergab in der Teamwertung einen mit der RSG Hannover geteilten 3ten Platz.
Insgesamt kann damit das radroo TEAM auf eine gute Teamleistung zurückblicken. Mir persönlich wird dieses Rennen auch in Erinnerung bleiben und zwar als eine lange Jagd, in der sich gezeigt hat was Teamwork bringt. An dieser Stelle abschließend eine gute Besserung an Pierre, der - wie erst nach dem Rennen klar war – über weite Strecken mit einer ausgekugelten Schulter mit mir Führungsarbeit geleistet hat. Nächstes mal jagen wir wieder vorne mit, da sind wir uns beide einig.